Montag, 31. Juli 2017

» Die Widerspenstigkeit des Glücks ; Gabrielle Zevin

"Amelia ist Verlagsvertreterin und lernt dabei die eigenwilligsten Buchhändler kennen. Genau so einer ist A. J. Fikry. In seinem Herzen haben nur turmhohe Bücherstapel Platz. Bis er einen ungebetenen Gast entdeckt: Eines Morgens sitzt die zweijährige Waise Maya in der Kinderbuchecke seiner Buchhandlung. Gegen seinen Willen nimmt sich A. J. des kleinen Mädchens an, das sein Leben kurzerhand auf den Kopf stellt. Und auch Amelia wird er nicht so schnell vergessen können…"


Die Geschichte

Auf Alice Island lebt A.J. Fikry nach dem Tod seiner Frau allein über seiner Buchhandlung: Ein zynischer Mensch, der keinen Anschluss an die Bewohner der Insel sucht: Er verbringt seine Tage in der Buchhandlung, ernährt sich von Fertig-Tiefkühlgerichten und trinkt danach regelmäßig genug, um einfach besinnungslos umzukippen. Verwunden hat er den Tod seiner Frau nicht.
Dann geschieht etwas, das sein einsames Leben gehörig auf den Kopf stellt: Kurz nachdem der "Tamerlane", eine extrem wertvolle seltene Ausgabe mit frühen Kurzgeschichten von Edgar Allan Poe, gestohlen wird, wird ein zweijähriges Kind in seiner Buchhandlung ausgesetzt: Maya, um die er sich bitte kümmern soll. Gegen seinen Willen behält A.J. die Kleine über das Wochenende bei sich, bis feststeht, dass sich die Mutter des Kindes umgebracht hat. Zur Überraschung der ganzen Insel behält A.J. Maya danach jedoch bei sich: Sie hat sein Herz auf eigentümliche Weise berührt und erwärmt.
Dieses eine Ereignis stellt A.J.s Leben völlig auf den Kopf: Auf einmal findet er Anschluss auf der Insel, immerhin will er nicht, dass Maya isoliert aufwächst. Und die Verlagsvertreterin Amelia, die er beim ersten Kennenlernen (vor Maya) noch schroff behandelt hat, schleicht sich in sein Herz...

Die Bewertung

"Die Widerspenstigkeit des Glücks" von Gabrielle Zevin ist eines dieser Bücher, bei dem sich die Hauptfiguren klammheimlich in das Herz schleichen. Sie sind so anders und echt, dass man gar nicht anders kann, als sie zu lieben.
Außerdem ist dies das Buch für Bücherliebhaber, denn neben der Geschichte von einem kauzigen Buchhändler (oh, wie gerne würde ich dort arbeiten!) gibt es zwischen jedem Kapitel eine kleine Buchzusammenfassung, die A.J. für Maya schreibt. Was gibt es eigentlich Schöneres als Bücher über Bücher und Bücherliebhaber?
Mit Maya verändert sich das Leben des Eigenbrötlers und es ist eine Freude zu lesen, wie A.J. sich entwickelt und wie aus einer Geschichte über eine plötzliche Familie eine Liebesgeschichte wird. Vermutlich wird dieses Buch ein Geheimtipp bleiben, aber für mich ist es eines der besten Bücher, die ich in der letzten Zeit gelesen habe. Eine wahre Freude!

5 von 5 Punkten!

» Ich bin Paul ; Patrick Hinz

"„Willst du mich heiraten?“ Auf diese Frage gibt es nur eine richtige Antwort – und „Ich liebe dich nicht mehr“ ist es eindeutig nicht! Also verläuft Pauls Abend deutlich anders, als geplant: Statt selig mit Louise zu kuscheln, sitzt er auf einer Parkbank und grübelt. Wie konnte es soweit kommen? Paul denkt an den kleinen, dicken Jungen, der er einmal war. Daran, wie er zu dem Mann wurde, der er heute ist. Und natürlich fragt er sich auch, was nun werden soll. Nur eins ist klar: Aufgeben gilt nicht! Also beschließt Paul, für sein Glück zu kämpfen – doch das stellt sein Leben erst recht auf den Kopf!"

Die Geschichte

Es sollte der schönste Abend werden: Der Abend, an dem Paul seiner Louise einen Heiratsantrag bei ihrem Lieblings-Italiener macht. Er fällt aus allen Wolken, als sie Nein sagt: Sie liebt ihn nicht mehr. Es gibt einen anderen.
So sitzt Paul schließlich im dunklen, kalten Park auf einer Bank und fängt an darüber nachzudenken, wie es nur so weit kommen konnte. Er denkt zurück an den Erwachsenen im Körper eines kleinen, pummeligen Jungen, der es schwer in den ersten Jahren seiner Schulzeit hatte: Ein wortgewandter Streber, der nicht so recht Anschluss finden konnte, wenn man von dem Jungen im Rollstuhl absah, mit dem auch niemand befreundet sein wollte. Er denkt an seine Familie zurück und verliert sich in Erinnerungen, während er die Frage verdrängt, was nun - ohne Louise - eigentlich werden soll. Wie wurde der kleine dicke Paul zu dem Paul heute - und was muss der Paul heute tun, damit es jetzt auch weitergeht?

Die Bewertung

Am besten an diesem Buch hat mir die Erzählweise aus Pauls Perspektive gefallen: Wortgewandt, witzig, anders. Auf zwei Ebenen wird die Geschichte erzählt: Im Jetzt, wie Pauls Heiratsantrag abgelehnt wird und was daraufhin passiert, und in der Vergangenheit, in der Paul von seiner Einschulung an Revue passieren lässt, was die wichtigen Stationen im Erwachsen werden waren. Nach und nach lernt der Leser Paul kennen und verstehen und sieht dabei zeitgleich, wie aus all dem der heutige Paul wurde.
Einen Punkt Abzug gibt es dabei für den leicht widersprüchlichen Charakter von Paul, oder einige seiner Sichtweisen. Denn obwohl er stets behauptet, anders zu sein, dreht er sich doch in allem, was er tut, egozentrisch um sich selbst - obwohl er dies in einer gewissen Arroganz anderen vorwirft. Das konnte ich nicht gut leiden, auch wenn der Schreibstil und die Kunst, eine Geschichte über einen so kurzen Zeitraum zu erzählen, doch für weitere Punkte sorgt. Es ist ein schönes Buch für Nebenher; und der Schreibstil überzeugt definitiv.

4 von 5 Punkten.

» Rote Grütze mit Schuss ; Krischan Koch (Thies Detlefsen #1)

"Ein ermordeter Biobauer, eine verschwundene Ehefrau, Brandstiftung und Erpressung: Dorfpolizist Thies Detlefsen hat auf einmal alle Hände voll zu tun. Und das im bisher so friedlichen Fredenbüll in Nordfriesland, wo es mehr Schafe (600) als Einwohner (176) gibt! "Dat is jetz'n büschen viel auf einmal." Gott sei Dank naht Hilfe in Gestalt der attraktiven Nicole Stappenbek von der Kieler Mordkommision. Gemeinsam rücken sie dem Bösen zu Leibe..."

Die Geschichte

Thies Detlefsen, dem Polizisten von Fredenbüll an der Nordsee, sitzt der Rotstift aus Kiel gehörig im Nacken: Aber was soll er machen, wenn in Fredenbüll außer Falschparkern und zu schnell fahrenden Wochenend-Gästen einfach nichts los ist? Da ist es kein Wunder, dass er gleich einen Mord wittert, als man die Leiche von Brodersen, dem ansässigen Bio-Bauern, in dessen eigener Mähmaschine entdeckt. Als zur gleichen Zeit die hübsche Swaantje Ketels verschwindet, bekommt Thies einiges zu tun - und Unterstützung aus Kiel in Person von Nicole Stappenbek, die zuerst recht skeptisch die "Kriminalfälle" mit ihm angeht.
Dann jedoch kommt der Bericht des Pathologen aus Kiel, der Thies' Ahnung bestätigt: Brodersen wurde erschossen! Wer könnte der Täter sein? Mit der Unterstützung des halben Dorfs beginnen die beiden zu ermitteln...

Die Bewertung

Krischan Kochs Küsten-Krimi ist ein Sammelsurium skurriler, aber liebenswerter norddeutscher Charaktere, angefangen von Polizist Thies mit seinem Kuhblick, wenn es ernst wird (oder er verwirrt ist), die Stammbesetzung von "De Hidde Kist", der Imbissstube in Fredenbüll: Wirtin Antje und ihr vegetarischer Hund Susi, Postbote Klaas, der zwischendurch Thies beim Verhör assistiert, oder auch Bounty, der Alt-Hippie, der in seiner Hütte Marihuana anbaut, was Thies irgendwie stets entgeht.
Ab und zu bekommt der Leser einen Einblick in das Geschehen, das zu den Ermittlungen von Thies und Nicole Stappenbek führt, aber dennoch ist man sich nie so ganz sicher, ob man wirklich durchschaut hat, welcher skurrilen Ereignisse nun zu den Todesfällen geführt haben und wer nun eigentlich der Täter ist. 
Obwohl ich normalerweise nicht der größte Krimi-Leser bin, gehört die Thies Detlefsen-Reihe von Krischan Koch doch zu meinen Lieblingen: Die Charaktere sind so liebevoll gezeichnet und ausgeschrieben, dass es beinahe der echte Bericht aus Fredenbüll sein könnte - wären die Mordfälle nicht gleichermaßen völlig verrückt. Das Buch ist unterhaltsam und voller Wendungen, mit denen man nicht rechnet.
Besonderes Bonbon: Das Hörbuch wurde von Bjarne Mädel eingesprochen und gibt dem Ganzen noch mal eine extra Portion nordischen Charme!

5 von 5 Punkten!

Donnerstag, 27. Juli 2017

» Die unsichtbare Bibliothek ; Genevieve Cogman (#1)

"Die unsichtbare Bibliothek - ein Ort jenseits von Raum und Zeit und ein Tor zu den unterschiedlichsten Welten. Hier werden einzigartige Bücher gesammelt und erforscht, nachdem Bibliothekare im Außendienst sie beschafft haben. Irene Winters ist eine von ihnen. Ihr aktueller Auftrag führt sie in ein viktorianisches London, wo eine seltene Version der Grimm'schen Märchen aufgetaucht ist. Doch was als einfacher Einsatz beginnt, wird nur allzu schnell ein tödliches Abenteuer, denn Irene ist nicht die Einzige, die hinter dem Buch her ist. Und die anderen Interessenten gehen über Leichen, um zu bekommen, was sie wollen..."

Die Geschichte

Irene ist gerade erst von einer Mission zurück in die unsichtbare Bibliothek gekommen, ihren Arbeitsplatz, der zeitlos zwischen allen Welten liegt, als sie einen neuen Auftrag bekommt - und einen Lehrling an ihre Seiten. Gemeinsam mit Kai soll sie in einem viktorianischen London eine Ausgabe der Grimm'schen Märchen finden. Das scheint jedoch schwieriger zu sein als gedacht, denn als sie dort ankommen, erfahren sie, dass das Buch gestohlen wurde. 
Ehe sie es sich versehen, sind Irene und Kai in einen Kampf hineingezogen worden, in dem erst nach und nach klar wird, wer überhaupt gegeneinander kämpft. Denn jede Welt ist anders, sodass sie hier erst herausfinden müssen, wer zwischen Vampiren, Werwölfen und den Elfen aus Liechtenstein auf welcher Seite steht.
Gemeinsam mit einem Privatdetektiv machen sich die beiden auf die Suche nach dem Buch, während Irene versucht, Kai schnell in diese Arbeit anzulernen: Denn manchmal stehen die Ziele der Bibliothek über dem, was das eigene Moralempfinden als richtig empfindet...



Die Bewertung

Zuallererst: Ich möchte wirklich gern für die unsichtbare Bibliothek arbeiten.
Und dann: Dies ist ein Fantasy-Buch, das anders ist. Toll anders: Genevieve Cogman hat man der unsichtbaren Bibliothek eine Welt erschaffen, die keinem anderen Buch gleicht, und dabei fasziniert. Irene ist eine Hauptfigur, mit der man irgendwie erst warm werden muss: Man lernt sie nur langsam kennen. Dennoch: Das Buch ist eine Empfehlung für jeden, der Fantasy-Bücher liebt, aber endlich mal etwas anderes lesen möchte als das typische Schema. Außerdem ist es wortgewandt geschrieben und unglaublich intelligent. Es fasziniert, das viktorianische London kennenzulernen und auch nach der Hälfte des Buchs hat man noch das Gefühl, erst einen Bruchteil über die unsichtbare Bibliothek zu wissen: Das könnte frustrieren, aber tatsächlich passt das einfach so sehr zu ihr, dass es einen nur ein wenig stört: Gerade genug, um voller Neugierde weiterzulesen.
Das Beste ist, dass noch weitere Bände erscheinen werden: Und darauf freue ich mich!

5 von 5 Punkten

» Die Eismacher ; Ernest van der Kwast

"Wenn Liebe auf der Zunge zergeht. 
Im Norden Italiens, inmitten der malerischen Dolomiten, liegt das Tal der Eismacher, in dem sich die Einwohner auf die Herstellung von Speiseeis spezialisiert haben. Giuseppe Talamini behauptet gar, die Eiscreme wurde hier erfunden. Und er muss es wissen, schließlich haben sich die Talaminis seit fünf Generationen dieser Handwerkskunst verschrieben. Jedes Jahr im Frühling siedeln sie nach Rotterdam über, wo sie während der Sommermonate ein kleines Eiscafé betreiben. Hier gibt es alles, was das Herz begehrt: zartschmelzendes Grappasorbet, sanftgrünes Pistazieneis, zimtfarbene Schokolade. Dennoch beschließt der ältere Sohn Giovanni, mit der Familientradition zu brechen, um sein Leben der Literatur zu widmen. Denn er liebt das Lesen so sehr wie das Eis. Bis ihn eines Tages sein Bruder aufsucht: Luca, der das Eiscafé übernommen hat, ist inzwischen mit Sophia verheiratet, in die beide Brüder einst unsterblich verliebt waren. Und er hat eine ungewöhnliche Bitte …"

Die Geschichte

Giovanni ist ein leidenschaftlicher Liebhaber der Poesie und hat es zum Leiter des Rotterdamer Literaturfestivals geschafft. Eine Leistung, auf die andere Familien vielleicht stolz wären, wäre Giovanni Talamini nicht der Sohn eines Eismachers - und vorgesehen gewesen, die Eisdiele zu übernehmen. Die Familie Talamini ist eine der vielen italienischen Familien, die jeden Sommer in den Niederlanden verbringen und Eis verkaufen. Der Winter ist ihr Sommer, wenn sie sich von den langen Monaten in der Eisdiele erholen.
Giovannis jüngerer Bruder Luca musste nach Giovannis Entscheidung, studieren zu gehen, allein die Eisdiele übernehmen, während auch seine Eltern weiter dort schuften. Luca spricht seitdem kein Wort mehr mit seinem Bruder, der allerdings sowieso durch die Welt reist und ein ganz anderes Leben führt als seine Familie. 
Dann kommt sein Bruder jedoch mit einer Bitte auf ihn zu: Seine Frau Sophia kann keine Kinder von ihm bekommen. Bringt dieser Wunsch Giovanni seiner Familie wieder näher?

Die Bewertung

Ich könnte wahnsinnig viel über dieses Buch schreiben. Vordergründig ist es Giovannis Geschichte: Wie er sich von seiner Familie entfernte und wie sie vielleicht wieder zusammenfinden mögen. Eine Geschichte von italienischen Sturköpfen und Traditionen, die einen Beruf (oder eine Berufung?) beleuchtet, die so nah von uns passiert und uns doch so fremd ist. 
Es ist aber mehr, denn Giovanni erzählt neben seiner Geschichte auch die seines Vorfahrs Giuseppe, der einst die Kunst der Eiscreme in sein italienisches Dorf brachte, als man noch jeden Morgen auf den Berg steigen musste, um Eis zu sammeln, um damit Eiscreme herzustellen. Es ist eine ungewöhnliche, berührende Familiengeschichte mit einem Schreibstil, der frischen Wind hereinwehte und Anekdoten aneinander reiht, bis sie eine Geschichte ergeben: Das Buch beginnt mit Betty Heidler, der ehemaligen Weltrekordhalterin aus Deutschland, einer Hammerwerferin, und den Wirbel, den sie in die Familie Talamini bringt. 
"Die Eismacher" ist ungewöhnliche, aber wunderschöne Lektüre und unbedingt zu empfehlen - auch wenn man Gefahr läuft, unbedingt den ein oder anderen Eisbecher zu essen...

5 von 5 Punkten!